
Ich bin noch mal zu seinem Garten gegangen. Nach all den Tränen mit seiner Frau, seinen Kindern, den Freundinnen der Kinder, die ich mit habe aufwachsen sehen und die mich jetzt trösten. Nach den guten Nachbarn aus aller Herren Länder, nach dem guten Essen und den Geschichten von den guten Zeiten brauchte ich einen Moment mit ihm alleine. Es dauerte eine Zeit, bis ich den Weg gefunden hatte. Bisher war ich immer mit ihm hierher gelaufen. Jetzt brauchte ich Google, um hin zu finden. Das Tor war zu und es dauerte eine Weile, bis ich den Trick fand, der die Kolonie vor ungebetenen Besuchern schützen soll. Dann war er wieder da: Üppig, voll, überbordend. So hatte ich sein kleines Stück Erde in Erinnerung und so war es auch jetzt. Trauben; Pflaumen, Tomaten, Borretsch, Rosmarin und Thymian und ein Kornellkirschenstrauch. Ein Nutzgarten. Ein Teil von ihm war der schwäbische Bauer von der Donau geblieben, der Sohn seines wortkargen Vaters, den er oft mit knochentrockenen Sprüchen parodierte. Hinten gab es eine Hütte und ein kleines Stück Wiese. Wunderbare Sommerfeste hatten wir hier gefeiert unterm Pflaumenbaum und ruhige Abende allein. Jetzt hängt alles voll und niemand hat Zeit zu ernten.
Und ein Olivenhain auf Kreta ist dazu gekommen und das Land seines Vaters vor zwei Jahren auch noch. „Und zwei Hektar Wald.“, ergänzt seine Schwester. „Es hat ihn zerrissen.“ Er habe auch das Elternhaus wieder hergerichtet, wäre mit ihr noch einmal an seine Plätze gegangen, die ihm als Kind wichtig waren. Er wäre wohl gerne zurück in das Dorf seiner Kindheit gegangen, will sie mir sagen. Er vielleicht, aber seine Frau sicher nicht. Und als ich ihn in Kreta besuchte habe ich wirklich geglaubt, dass er froh ist, das alles hinter sich zu lassen. Das Dorf aus dem er kommt und die Stadt, in der er ein Vierteljahrhundert gelebt, gearbeitet, Kinder großgezogen hat. Aber jetzt, in seinem Garten, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob er hier nicht doch Wurzeln geschlagen hat. Er ist in seinem Garten gestorben, in den Armen seiner Frau, um es poetisch zu sagen. Die eine Stunde Reanimation hätten sie ihm ersparen sollen. Wahrscheinlich war er da aber schon nicht mehr dabei und hat sich das schon alles von oben angeschaut. Und weil wir beide zusammen vor 40 Jahren Krankenpfleger gelernt haben, weiß ich, dass er dabei einen trockenen Spruch abgelassen hat – über das vergebliche Theater, dass der Rettungsdienst mit ihm veranstaltete.
Am Wochenende werden sich noch mal alle Freunde im Garten treffen, zu einem Abschiedsfest. Ich habe schon Abschied genommen und werde nicht mehr dabei sein. Seine Frau hat mir ein Glas Pflaumenmus mitgegeben.
